Verkehrsrelikte vergangener Zeiten in Brandenburg an der Havel

Teil 3: Weitere Zeugnisse der Verkehrsgeschichte

Brandenburg an der Havel ist reich an Verkehrsrelikten. Die vielfältigsten Verkehrsträger haben im Laufe der Zeit in unserer Stadt ihre Spuren hinterlassen. Neben Straßen- und Eisenbahntrassen gibt es aber auch andere Relikte, die irgendwie mit dem Verkehrswesen in Verbindung stehen, direkt oder indirekt. Manches ist offensichtlich, anderes wieder nicht. Mit dem Teil 3 möchte ich einige nicht so offensichtliche Relikte vorstellen, teilweise besteht hier auch eine enge Verbindung zur Industrie bzw. zum Gewerbe.

 

Von der Straßenbahn als über 100jähriges Verkehrsmittel im Nahverkehr gibt es eine ganze Reihe Hinweise auf längst aufgegebene Strecken und Anlagen. Man muss nur mit offenen Augen durch die Straßen gehen. Die Wandrosetten zum Beispiel, die an vielen Häusern entlang der Straßenbahnstrecken ihren Dienst tun. Den meisten Leuten fallen sie gar nicht auf. So unscheinbar sie auch sein mögen, so ganz nebenbei steckt in ihnen auch ein beachtliches Konfliktpotential. Die Querdrähte, die den in 5,50 m Höhe über dem Gleis befindlichen Fahrdraht halten, benötigen eine stabile Befestigung, entweder an Masten an der Bürgersteigkante oder mit Wandrosetten unmittelbar an Gebäuden (deshalb war damals auch der Begriff Hausrosetten gebräuchlich). Die setzt aber die Einwilligung der Hauseigentümer voraus. Aus anderen Städten ist bekannt, dass Hauseigentümer keinen Mast vor ihrem Haus haben wollten und von sich aus die Anbringung einer Wandrosette verlangten. Die Regel war aber umgekehrt. Wegen räumlicher Enge konnte kein Mast gestellt werden, doch die betroffenen Hauseigentümer lehnten die Anbringung einer Wandrosette ab, entweder aus Prinzip, man befürchtete Schäden am Gebäude oder die Übertragung von Schwingungen ins Gemäuer. Dass diese Befürchtung nicht unbegründet war, belegen einige Bau- und Betriebsvorschriften mit der Verpflichtung, Schalldämpfer einzubauen.

Auch war die Frage „Mast oder Wandrosette“ nicht nur eine Frage der Ästhetik oder der Verkehrssicherheit, sondern auch eine Geldfrage. Die Aufstellung eines Mastes kostete etwa das 10fache einer Wandrosette. Wie die Situation in Brandenburg an der Havel war, lassen die einschlägigen Publikationen zur Geschichte unserer Straßenbahn leider offen. Die Möglichkeit, Wandrosetten auch gegen den Willen der Eigentümer anzubringen, eröffnete jedenfalls das preußische Enteignungsgesetz.

        

Im nebenstehenden Bild ist eine Hausrosette zum Anbringen der Aufhängedrähte für die Fahrdrahthalter zu sehen. Die Rosette hat ein drehbares Mittelstück, welches eine Gabel besitzt. In dieser Gabel kann ein Schalldämpfer befestigt und dieser Schalldämpfer wiederum mit einem Abspannisolator verbunden werden. Zur Befestigung der Rosetten an den Gebäuden dienen Keilschrauben. Die Ausbildungen der Rosetten sind wiederum verschieden und als sogenannte Quer- und Hochrosetten, je nach der Stellung des drehbaren Mittelstückes bezeichnet.

 

 

 

 

 

 

 

Im heutigen Kirchmöser begann 1914 das Industriezeitalter. Mit dem Aufbau einer staatlichen Pulverfabrik entstand Mitte 1915 als selbständiger Betrieb daneben ein Feuerwerkslaboratorium vorrangig für Zünder und Granaten. Dafür wurden rund 3.000 Arbeitskräfte eingesetzt. Zum Feuerwerkslaboratorium gehörten neben dem repräsentativen Verwaltungskomplex auch drei lang gestreckte Fabrikationsgebäude. Sie wurden später miteinander verbunden und bildeten auf diese Weise die gewaltige Halle des Lokwerkes. Dieses Werk der Reichseisenbahnverwaltung war eine Folge des Versailler Vertrages.

Mit der Übernahme des Werkes durch die Deutsche Reichsbahn im Jahr 1920 entstand aus dem Verwaltungskomplex des Feuerwerkslaboratoriums die Reichsbahnzentralschule. Sie war die drittgrößte Zentralschule für Dienstanfänger der Eisenbahn. Die Reichsbahnzentralschule nahm am 1. März 1928 ihren Betrieb auf.

Im Mai 1945 besetzte die Rote Armee das Gelände und die Gebäude der Zentralschule und des Lokomotivwerkes und nutzte diese bis 1992 als Kaserne. Seit dem Abzug der russischen Streitkräfte im Jahr 1993 steht das ehemalige Feuerwerkslaboratorium leer.

Die ehemalige Lokhalle wird heute wieder neu genutzt und ist saniert worden.

 

Und dann sind da noch Spuren bzw. Hinweise ehemaliger Anschlussgleise oder Wirtschaftsbahnen. Gemeint sind da vornehmlich die Feldbahnen der in unserer Gegend um 1900 so häufig vorhandenen Ziegeleien. Von ihnen ist meist nichts mehr vorhanden. Allenfalls erinnern noch Wege- oder Straßennamen und die vielen mit Wasser gefüllten ehemaligen Tongruben an ehemalige Ziegeleistandorte. Für den Transport des Tones und der fertigen Ziegelsteine hatten die Ziegeleien in ihrer Blütezeit oft umfangreiche Feldbahnnetze. Noch in den 1970er- und 1980er Jahren waren an mehreren Stellen in den Straßen der Umgebung solche Gleisreste vorhanden. Erst mit den Straßensanierungen nach 1990 sind fast alle Reste verschwunden. 

     

      

Straßenbahn

   

Ehemalige Strecke nach Kirchmöser West

   

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 24.05.2015

 Zum Fahrplanwechsel am 21.09.2002 endete der Straßenbahnbetrieb auf der Überlandstrecke nach Plaue. Die Verkehrsleistungen übernahmen Busse. Während der größte Teil der Strecke abgebaut wurde, blieb ein Reststück von der Wendeschleife Anton-Saefkow-Allee durch den Wald bis zur Bundesstraße 1 liegen. Hier an der ehemaligen Haltestelle Waldweg hat die Natur schon einiges zurück erobert.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 06.05.2015

An der ehemaligen Ausweiche Margarethenhof erinnern Pflasterungen und übrig gebliebene Gleisstücke an die damalige Straßenbahnstrecke.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 06.05.2015

Auch auf der Rampe zur alten Plauer Brücke ist bis heute ein Gleisrest im alten Mosaikpflaster der ehemaligen Fernverkehrs- bzw. Bundesstraße 1 verblieben. Deutlich zu erkennen, die Straßenrandlage der eingleisigen Strecke, was häufiger zu gefährlichen Situationen schon beim damaligen Straßenverkehr führte.

Aufnahmen: © H. M. Waßerroth, 07.07.2015

In der Genthiner Straße in Plaue erinnern an vielen Häusern, meist in der oberen Hälfte der 1. Etage, heute nur noch die Wandrosetten für die Tragseile der Oberleitung an die Zeit der Straßenbahn, während im Straßenbelag nach dessen Erneuerung alle Spuren verschwunden sind.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 13.05.2015

Auch das Straßenbahndepot Plaue erinnert kaum noch an seine ursprüngliche Funktion. Es wurde nach Einstellung des Straßenbahnbetriebes modernisiert und umgebaut, ohne dabei aber sein ursprüngliches Aussehen grundlegend zu verlieren. Heute beherbergt es Boote eines Fachhändlers für Wassersport.

    

  

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 13.07.2015

An den Güterverkehr nach Plaue mit der Straßenbahn erinnert diese alte Rampe am Güterschuppen auf dem Hauptbahnhof neben der Brücke zum Schützenworth. Der Güterverkehr mit der Straßenbahn nach Plaue endete 1955. An der Giebelwand des Güterschuppens noch immer die Wandrosette für die Oberleitung.

    

      

Ehemalige Strecke zur Planebrücke

   

Aufnahmen: © H. M. Waßerroth, 08.07.2015

In der Jakobsstraße, wie auch in der Wilhelmsdorfer Straße befinden sich noch heute an mehreren Häusern die Wandrosetten für die Oberleitungsanlage der bereits am 19.12.1965 eingestellten Linie zur Planebrücke. Einzelne Gleisreste lagen noch bis nach 1989 in der Fahrbahn und verschwanden erst vollends mit der Straßenerneuerung.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 24.05.2015

Selbst an der restaurierten Fassade des repräsentativen Verwaltungsgebäudes der einstigen Excelsior-Fahrrad-Werke bzw. danach Bau- und Montagekombinat Ost in der Wilhelmsdorfer Landstraße erinnern diese Wandrosetten an die ehemalige Existenz der Straßenbahnline.
  

  

Ehemalige Strecke zur Brielower Straße, bzw. zur Mühlentorstraße

 

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 25.06.2015

Im Parduin steht dieses schön renovierte Haus. Links oben neben dem linken Fester in der 1. Etage die markanten Schrauben, angeordnet wie ein auf der Spitze stehendes Parallelogramm, welche einst zur Befestigung der Wandrosetten für die Oberleitung der hier verkehrenden Straßenbahn dienten. Die einstigen Spuren im Straßenpflaster sind längst verschwunden.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 25.06.2015

Diese Wandrosette am ersten Haus vor dem Rathenower Tor am Beginn der Willi-Sänger-Straße ist bereits seit über 100 Jahren ohne Funktion, aber der letzte Hinweis, dass hier mal eine elektrische Straßenbahn vorbei fuhr.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 25.06.2015

Von der Plauer Straße über den Altstadt Markt, Parduin, Rathenower Straße bis in die Brielower Straße führte ab 15.10.1911 die "Grüne Linie". Kriegsbedingt wurde sie zum 04.08.1914 eingestellt und so nie wieder in Betrieb genommen. 1918 erfolgte die Demontage der Oberleitungsanlage und seit dem ist auch diese Wandrosette zwischen den linken beiden Fenstern ohne Funktion. Teile des Gleises in der Rathenower Straße waren noch bis Mitte der 1960er Jahre, da wurde das Pflaster mit einer Asphaltdecke überzogen, vorhanden.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 25.06.2015

Ab 28.07.1928 lebte der Straßenbahnverkehr über den Altstadt Mark noch einmal auf. Neuer Endpunkt war diesmal ein behelfsmäßiges Ende in der Mühlentorstraße. Geplant war eine Endhaltestelle mit Gleis zum Umsetzen 150 Meter weiter. Der Krieg verhinderte die Ausführung, am 06.01.1940 wurde der Betrieb hierher wieder eingestellt. Die Wandrosette am Eckhaus zum Gotthardtkirchplatz erinnert an das ehemalige Streckenende. Auch hier sind die Spuren im Straßenpflaster mit der Fahrbahnerneuerung verschwunden.

 

 

Feuerwerkslaboratorium / Königlich-Preußische Pulverfabrik bei Plaue (Havel), Reichsbahnausbesserungswerk Brandenburg West

   

Im Jahr 1914 fiel die Entscheidung, in der Gemarkung Möser (so die damalige Ortsbezeichnung) am Plauer See eine staatliche Pulverfabrik zu errichten. Am 12.05.1915 begann der Probebetrieb. Schon nach dem Versailler Vertrag vom Juni 1918 sollte das gesamte Werk, was noch nicht einmal fertig aufgebaut war, liquidiert werden.

Die Anlagen wurden an andere Länder abgegeben, die Gebäude blieben aber erhalten. Nach Übernahme des Werkes durch das Reichsverkehrsministerium ging es nach Gründung der Reichseisenbahn in deren Eigentum über. Aus dem Werk wurde nun das Eisenbahnwerk Brandenburg-West.  

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 07.07.2015

Die Eingangstore zur Pulverfabrik, wie zum selbstständigen Feuerwerkslaboratorium an der Wusterwitzer Straße zierten zu beiden Seiten 2 mächtige auf Kugeln sitzende Adler. Zwei dieser Betonplastiken wurden wiedergefunden. Sie sind zwar stark beschädigt, aber als Zeugnisse vergangener Zeiten Unter den Platanen nahe am ehemaligen Nordtor aufgestellt worden.

Nach Übernahme der Pulverfabrik durch die Reichsbahn zog Mitte der 1920er Jahre in das ehemalige Feuerwerkslaboratorium die Reichsbahnzentralschule Brandenburg-West ein. Das gesamte Ensemble des ehemaligen Feuerwerkslaboratoriums ist größtenteils erhalten und steht unter Denkmalschutz, macht aber einen sehr desolaten Eindruck.  

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 05.08.2013

Das Ostportal der Zentralschule war der Übergang zum Lokomotivwerk.  

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 05.08.2013

Überall wo man hinsieht, schwere Bauschäden und Verfall. Ganze Bereiche sind einsturzgefährdet !  

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 05.08.2013

Blick ins Innere des Speisehauses des früheren Feuerwerkslaboratoriums.

Das Zentralwerk des Reichbahnausbesserungswerkes und die Zentralschule wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den russischen Besatzern als Panzerwerk genutzt. Was die Russen während der Besetzung von Mai 1945 bis 1992 durch Zweckentfremdung und meist fehlender Instandhaltung nicht kaputt bekommen haben, zerfällt heute, weil nichts für die Erhaltung getan wird.

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 28.07.2015

Die ehemalige Lokhalle heute. Sie wurde nach dem Abzug der Russen saniert und beherbergt nun eine Produktionsstätte für Leitplanken. Auf der weiten Fläche im Vordergrund befand sich früher die große Drehscheibe mit den vielen Strahlengleisen.

    

    

Wirtschaftsbahnen, Feldbahnen

  

 

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 24.05.2015

Dieses Stück Feldbahngleis, Spurweite 600 mm, einer ehemaligen, längst vergessenen Wirtschaftsbahn ist noch heute an der Bundesstraße 1 gegenüber der Einmündung vom Plauerhof vorhanden.

    

    

Ehemaliges Anschlussgleis (Werkanschluss) zur Massowburg

   

Aufnahme: © H. M. Waßerroth, 25.07.2015

Heute erinnert nur noch der Name Schienenweg daran, dass hier mal ein Eisenbahngleis lag. Im November 1950 wurde das Anschlussgleis zur vormaligen Fabrik Dünger- und Chemische Werke "Mark" GmbH an der Massowburg abgebaut. Bis Mitte der 1980er Jahre lagen die Schienen dieses Anschlussgleises noch an der Kreuzung mit der Brielower Landstraße in der Fahrbahn, waren aber mit Asphalt überzogen und nur am Rand ein Stückchen zu sehen

    

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Vers. 1.1.3. vom 17.05.2023

© Harumi Michelle Waßerroth