Als Brandenburg an der Havel Eisenbahnanschluss bekam und

die Entwicklung der Bahnhofsvorstadt

Der 07. August ist der Tag, an dem sich für die Havelstadt Brandenburg jedes Jahr der Anschluss an das Eisenbahnnetz jährt. Wer heute mit dem Zug von Potsdam nach Magdeburg oder umgekehrt fährt, wird sich kaum Gedanken machen, wie diese wichtige Bahnlinie entstand.

Im Oktober 1838, es war gerade mal knapp 3 Jahre her, dass in Deutschland die erste Eisenbahnlinie in Betrieb genommen wurde, begannen bereits die Bemühungen zur Fortführung der erst am 22.09.1838 eröffneten Berlin-Potsdamer Eisenbahn nach Magdeburg. Der Magistrat der Stadt Brandenburg setzte sich mit der Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft, den Städten Genthin, Burg und Magdeburg in Verbindung. Am 16.04.1840 ging dann eine Vorlage an die Stadtverordnetenversammlung von Brandenburg, eine Immediateingabe an den König, eine Vorstellung an den Minister v. Rochow und je ein Schreiben an den Magistrat in Genthin, den Rittergutsbesitzer v. Britzke, an die Stände des Kreises Zauch-Belzig und an den Direktor v. Puttkamer ab. Das gebildete Komitee, dem der Oberbürgermeister Ziegler und die Stadtverordneten Meinhard, Schonert, Aug. Spitta und Betge angehörten, trat mit dem Direktor der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn Emil Müller in Verbindung. Das Ziel war die Errichtung einer Eisenbahnlinie von Potsdam über Brandenburg, Genthin, Tangermünde, Stendal, Salzwedel und Lüneburg nach Bergedorf. Von Genthin sollte eine Zweigbahn nach Magdeburg führen. In Salzwedel wurde eine Konferenz abgehalten und in Brandenburg wurden in kürzester Zeit 0,5 Mill. Mark gezeichnet. Zahlreiche Vorstellungen gingen an den Oberpräsidenten und den Minister des Innern, an den Finanzminister und den König.

Beim Nachsuchen der staatlichen Genehmigung für den Bau dieser Linie stieß man aber auf große Hindernisse. Die Berlin-Anhalter Gesellschaft durchkreuzte den Plan durch den schnellen Bau der Strecke Berlin - Luckenwalde - Dessau - Cöthen. In Cöthen bestand Anschluss an die Leipzig-Magdeburger Eisenbahn. So war Magdeburg auf einem Umweg mit Berlin verbunden. Für die Verbindung Berlin - Hamburg siegte, auch aus militärischen Gründen, die Linienführung über Nauen und Wittenberge. Nun stand also nur noch die Linie Potsdam - Magdeburg zur Diskussion.

Durch Magdeburgs Verbindung mit Halberstadt und die Aussicht auf eine Weiterführung des Schienenweges bis nach Antwerpen ahnte die preußische Regierung die Rentabilität einer Direktverbindung Berlins mit Magdeburg. Am 08.05.1844 traf die Mitteilung des Ministers v. Rochow über die Konzessionierung einer Eisenbahn von Potsdam über Brandenburg nach Magdeburg ein, so dass noch im gleichen Jahr mit dem Bau begonnen werden konnte. Sofort trat ein Eisenbahnkomitee zusammen, dem Oberlandesgerichtsrat Augustin, Regierungsbaurat v. Unruh, Stadtrat Jacobs, Bürgermeister Stoepel, Baukondukteur Heß in Potsdam, Polizeipräsident v. Puttkamer, geh. Kommerzienrat M. Beer, Kaufmann Stegmüller in Berlin und Oberbürgermeister Ziegler angehörten.

Die Stadt Brandenburg gab unentgeldlich aus den städtischen Forsten 200 Eichen und 200 Kiefern und das zur der Errichtung der Eisenbahngebäude notwendige Gelände. Desweiteren zeichnete die Stadt für 377.000 Mark Aktien und trat 9 ha, 2 a und 98 m2 (= 94.298 m2) Weide-, Acker- und Forstland und 2 ha, 28 a und 94 m2 (= 22.894 m2) Wiesen für zusammen 10.708 Mark an die Eisenbahngesellschaft ab.

Nun gab es aber noch so einige Geländeschwierigkeiten zu überwinden. In Potsdam mussten mehrere Havelbrücken errichtet werden, im Golmer Bruch machte sich die Anlage eines Dammes erforderlich. Im Jeseriger Loch traten dann nochmals große Schwierigkeiten mit der unzureichenden Tragfähigkeit des Untergrundes bei der Anlage des Dammes auf. Aber auch diese wurden schließlich gemeistert.

Im August 1846 konnten Probefahrten von Potsdam bis zur Friedrichstadt vor Magdeburg unternommen werden.

Der 07. August 1846 war ein großer Tag für die Stadt Brandenburg, die Verkehrsübergabe der Strecke von Potsdam nach Magdeburg. Nur die Vollendung der Brücken am Potsdamer Bahnhof und in Magdeburg dauerte noch einige Zeit. Die Reisenden mussten dort auf Pferdedroschken umsteigen. Ab 13.09.1846 waren in Potsdam die neue Havelbrücke und ab 19.08.1848 in Magdeburg die Elbebrücke und die Bahnhofsanlagen fertig.

Anfangs verkehrte in jeder Richtung täglich ein Zug, später zwei und im endgültigen Fahrplan vier Züge in jeder Richtung. Schnellzüge befuhren die Strecke erst ab 1852. Eine Fahrt von Potsdam nach Brandenburg dauerte 1 bis 1 ½ Stunden, von Brandenburg nach Magdeburg 2 ½ Stunden. Für eine Fahrt 3. Klasse bezahlte man von Brandenburg nach Berlin 21 Silbergroschen und nach Magdeburg 1 Taler. Damals bedeutete 3. Klasse, im offenen Wagen zu reisen, bei Regen konnte höchstens ein Segeltuch übergedeckt werden. Erst später gab es ein festes Verdeck und wurden Puffer zwischen den Personenwagen angebracht.

 

Kartenausschnitt, Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt

Gleisseite des Brandenburger Bahnhofs, Aufnahmen von dieser Seite in frühen Jahren sind selten

     

Hunderte Schaulustige strömten am Eröffnungstag zum neuen Bahnhof oder zur Potsdamer Landstraße, um das Dampfross vorüberschnauben zu sehen. Aber mit der Potsdam-Magdeburger Eisenbahn verband sich nicht nur Freude. Für die Eröffnungsfahrt hatte die Eisenbahndirektion zwar Freikarten ausgegeben, aber nur für Genthin und Burg einen leeren Wagen bereitgehalten. Der Baumeister und Betriebsinspektor ließ den Bahnhof auf Grund des überaus starken Andrangs mit Stricken absperren und obendrein noch dick mit Teer beschmieren. Dadurch wurden natürlich die Kleider der Herandrängenden und -gedrängten beschmutzt, was eine gewaltige Empörung in der Stadt hervorrief. Dem auf dem Bahnhof gebietenden Baumeister warf man schroffes, gewalttätiges Benehmen gegenüber der brandenburger Bevölkerung vor. Er soll den Kellnern der Bahnhofsrestauration verboten haben, Speisen und Getränke zu verabreichen und sogar die Einwohner aus den Wartesälen vertrieben haben. Oberbürgermeister Ziegler griff in diesen Streit mit ein, konnte zu einer Schlichtung aber nicht viel erreichen.

Unzufriedenheit herrschte auch über das nicht gehaltene Versprechen, den Brandenburgern wie den Potsdamern die Teilnahme an den Probefahrten zu ermöglichen. Es hatten sich aber doch einige einen Freiplatz erobert und sind nicht wie Freifahrt gewährt wurde, bis zum nächsten Haltepunkt, sondern bis ans Ende der Strecke mitgefahren. Enttäuscht waren sie allerdings, als man ihnen die freie Rückfahrt verweigerte und sie die 11 Meilen von Magdeburg bis Brandenburg zu Fuß zurücklegen mussten. In Brandenburg angekommen, waren sie dann noch obendrein dem Spott der Bekannten ausgesetzt.

 

Karte 1909 gelaufen

Verlag: unbekannt., Foto: unbekannt

Bahnhof mit Bahnhofsvorplatz um 1900

     

In der Nähe des Bahnhofes wurde ein gewaltiger Koksofen errichtet. Er lieferte das Brennmaterial für die Dampflokomotiven. Später musste er dann dem Güterbahnhof weichen.

Im Jahre 1848 blieb die Dividende der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn mit 14.000 Mark aus. Dadurch entstand eine Vermehrung der Stadtschulden, da diese Summe bereits zur Schuldentilgung verplant war. Eine Änderung zeichnete sich nicht ab, so dass die Stadt die erworbenen Eisenbahnaktien wieder veräußerte.

So machte Brandenburg an der Havel also die Bekanntschaft mit der neuen Technik des Verkehrs, der Eisenbahn. Es sollten aber noch einige Jahrzehnte vergehen, bis Brandenburg sich zu einem Eisenbahnknoten entwickeln konnte.

      

Karte am 02.02.1899 gelaufen

Verlag: J. Friedländer. Brandenburg a. H.

     

Die Entwicklung der Bahnhofsvorstadt

Für Brandenburg gab es durch die Eisenbahn manch bedeutsame Veränderung.

Den Bahnhof erreichte man anfangs nur über die bereits bestehende Schützenstraße (heute Geschwister-Scholl-Straße) und die neu angelegte Bahnhofstraße. Die Schützenstraße führte zum Neust. Schützenhaus, welches nun südlich der neuen Bahnlinie am Rande des Breiten Bruchs lag. Da das Schützenhaus nicht anders zu erreichen war, musste am Bahnhof ein Bahnübergang im Zuge der Schützenstraße eingerichtet werden. Vor dem Bahnübergang zweigte die neue Bahnhofstraße ab und führte bis vor das neue Bahnhofsgebäude.

 

Karte am 13.04.1903 gelaufen

Verlag u. Foto: Paul Petzold Photogr. Brandenburg a. H.

Das Neust. Schützenhaus Brandenburg nach seinem Neubau für die Neustädtische Schützengilde um 1900,

vor der Wende wurde es als Klubhaus vom VEB Getriebewerk Brandenburg genutzt, nach der Wende hatte hier die beliebte Disco Manhattan 12 Jahre lang ihr Domizil, die weitere Nutzung ist ungewiss ....

 

Vielen Brandenburgern ist der Bahnübergang als Schranke Schützenworth bestimmt noch bekannt. Erst mit dem umfangreichen Umbau der Bahnhofstraße zur Straße Am Hauptbahnhof wurde der Übergang geschlossen und entfernt, geblieben ist die Fußgängerbrücke. Das Schützenworth und Hoher Steg sind heute straßenmäßig über die Potsdamer Landstraße erreichbar. 

    

Foto: unbekannt

Der Bahnübergang zum Schützenworth,

Aufnahme: um 1990 © Slg. H. M. Waßerroth

  

Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt

Bahnhofstraße mit der neuen Pferdebahn der Stadt Brandenburg etwa 1900

       

Die Bevölkerungszahlen der Stadt Brandenburg zu dieser Zeit waren, wenn auch wegen verschiedener Einflüsse stark schwankend, ständig steigend. Da lag es am nächsten, nun das Gelände zwischen Neustadt Brandenburg und Bahnhof zu bebauen. Um eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Steintor und dem Bahnhof zu schaffen, versuchte die Stadt die dort liegenden Gärten und Äcker zu erwerben. Die Besitzer stellten aber für die Stadt zu hohe Forderungen, so dass der Magistrat sich das Enteignungsrecht von der Regierung erbat, um so die Große und Kleine Gartenstraße anlegen zu können.. 

Die Große Gartenstraße, sie reichte damals nur bis zum Trauerberg, wurde dann im Jahre 1846 verlängert und mit der Bebauung begonnen. Die Bebauung der Kleinen Gartenstraße begann im Jahre 1854. Das alles ging aber so langsam vor sich, dass noch in den 1880er Jahren zahlreiche Scheunen und Äcker vorhanden waren. Die Kleine Gartenstraße wurde sogar zur Bahnhofstraße hin noch mit einem Zaun abgegrenzt. 1883 sind beide Straßen mit Lindenbäumen bepflanzt worden.

In den angrenzenden Straßen begann die Bebauung: Werderstraße 1861, Bahnhofstraße und Flutstraße 1862, Schulstraße 1873.

1846 schlug eine Baukommission auch die Pflasterung einiger Straßen zum Bahnhof vor, um fahr- und gangbare Verbindungswege zwischen Stadt und Eisenbahn zu schaffen. Stadtverordnetenversammlung und Magistrat waren aber der Meinung, man solle warten, bis vielleicht die Eisenbahngesellschaft zur Herstellung der Verbindungswege Beihilfe leiste. Diese Hoffnung hatte sich bald zerschlagen, so dass am 04.09.1846 die Stadtverordnetenversammlung mit 22 gegen 19 Stimmen die Pflasterung der Schützenstraße (Geschwister-Scholl-Straße) vorzubereiten beschloss, aber bis zur Einführung eines neuen Baurates die Ausführung vertagte. Nach Vollendung der Pflasterung der Schützenstraße forderten im September 1847 die Stadtverordneten Netzenthin, Kiesel und Hampke die Pflasterung der Großen Gartenstraße. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte es aber ab, weil sie ganz überflüssig scheine.

    

Karte nicht gelaufen

Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt

Große Gartenstraße vor 1911 mit Blick vom Trauerberg (rechts) Richtung Bahnhof

     

Trotz zahlreicher Petitionen verzögerte sich lange die Pflasterung der Großen Gartenstraße. 1861 erfolgte endlich die Pflasterung mit einem Aufwand von 3.463 Mark, angrenzende Hausbesitzer hatten 735 Mark beigesteuert, vom Trauerberg bis zu Müllers Garten (jetzt Nr. 43-48) und anschließend mit einer Aufwendung von 8.749 Mark das Reststück bis zum Bahnhof.

      

Nach langem Hin und Her, ob ein Gaswerk notwendig sei und ob es auf Stadtkosten oder durch einen konzessionierten Privatunternehmer errichtet werden solle, einigte man sich erst im Jahre 1860, nachdem verschiedene kleinere Städte der Provinz mit dem Bau eines Gaswerkes gute Erfahrungen gemacht hatten. Gas wurde zu dieser Zeit nahezu ausschließlich zu Beleuchtungszwecken verwendet.

Am 10.01.1861 fand die erste Sitzung statt, in der beschlossen wurde, dem Gaswerkdirektor Kornhardt aus Stettin die Ausarbeitung der Entwürfe in Auftrag zu geben. Die Ausführung des Gaswerkes wurde dann auch dem Gaswerkdirektor Kornhardt unter der Bauleitung des Regierungsbaurats a.D. von Unruh übertragen. Das Werk wurde neben dem Güterbahnhof an der Schützenstraße auf einem von der Berlin-Magdeburger Eisenbahnverwaltung erworbenem Grundstück errichtet. Seine Leistung war auf 12.000 Kubikfuß jährlich bemessen. Betriebsbereit ab 01.09.1862 wurde seine Eröffnung aber auf den 12.09.1862 verschoben, weil am 08.09.1862 Vollmond herrschte und deshalb mit keinem Gasverbrauch zu rechnen war.

1877 waren erste Erweiterungen notwendig, weil der Gasverbrauch in der Stadt stetig stieg.

     

Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt

Koksaufbereitungsanlage im Gaswerk an der Schützenstraße

      

Nach mehreren umfangreichen Erweiterungen des Gaswerkes in den Folgejahren war die Kapazität des genutzten Grundstücks erreicht. 1908 gingen die Anlagen des neuen Gaswerkes in der Neuendorfer Straße zwischen Altstadt Bahnhof und Unterhavel in Betrieb. Das alte Werk diente fortan nur noch als Reserve bis im Jahre 1920 die städtischen Körperschaften den Beschluss fassten, die Anlagen auf Abbruch zu verkaufen und das Grundstück im Tauschwege der Firma Gebrüder Reichstein zu übertragen.

    

Durch die Lage des Bahnhofes vor den Toren der Stadt wurde die Einrichtung einer Droschkenwache befürwortet. Zu diesem Zweck hatte der Magistrat der Stadt ein Reglement für das Droschkenfuhrwesen herausgegeben. Das Lohnfuhrwesen übertrug die Stadt 1846 einem einzigen Unternehmer als Alleinbevorrechtigten. Er war im Gegensatz zu allen anderen Fuhrwerksbesitzern bereit, seine Gespanne für den Preis von 2 ½ Silbergroschen für eine Person und Fahrt zur Verfügung zu stellen. Die erste Pferdedroschke fuhr August Taege.

Das Monopol der Pferdedroschken endete mit Eröffnung der ersten Teilstrecke der Pferdebahn von der Nicolaistraße über Plauer Straße, Ritterstraße, Hauptstraße, Sankt-Annen-Straße, Schützenstraße zum Bahnhof am 01.10.1897. Am 12.11.1898 wurde der Straßenbahnring über Große Gartenstraße, Bauhofstraße, Luckenberger Straße geschlossen. 

      

Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt

Bahnhofsvorplatz mit Pferdestraßenbahn vor dem "Hotel zur Eisenbahn", später Bahnhofshotel und Pferdedroschken um 1900, Blick vom Bahnhof in die Kleine Gartenstraße

   

Die Bahnhofsvorstadt entwickelte sich zweigeteilt. Die Schützenstraße erhielt durch die Ansiedlung der Gasanstalt und ab 1874 der Brennabor-Werke ein vornehmlich industrielles Profil und war bis Anfang des 20. Jahrhunderts eines der wichtigsten Industriegebiete der Stadt Brandenburg an der Havel. Nur wenige Wohnbauten entstanden in der Schützenstraße. So die Häuserzeile auf der rechten Seite, damals gegenüber des Gaswerkes. Neben dem Gaswerk befand sich in der Schützenstraße ein großer Hof, der von Budenhäusern umsäumt war, den sogenannte Hammelhof. Dies waren Bendels Buden, die dem Ratszimmermann Bendel gehörten und an der Straße hatten die Pferdeställe der 4. Eskadron des Königlich-Preußischen Kürassier-Regiments Nr. 6 ihren Standort. Diese Grundstücke erwarben 1882 die Gebrüder Reichstein für die Erweiterung ihrer Fabrikanlagen.

Budenhäuser waren primitive Quartiere, die es ursprünglich auf Grundstücken in vielen Straßen der Stadt gab. Sie wurden von wohlhabenden Bürgern erbaut und an die sogenannten Budenleute vermietet. Budenleute gehörten zur untersten Schicht der Stadtbevölkerung und besaßen kein Bürgerrecht. Sie wurden als Tagelöhner vom Rat angestellt und durften nicht in Konkurrenz zu Berufen der Bürgerschaft treten.

    

Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt

Bendels Buden auf dem Hammelhof in der Schützenstraße 1882

     

Die von den Gebrüdern Reichenstein 1871 als Kinderwagenfabrik gegründeten Brennabor-Werke zogen nach Ankauf des Grundstücks Schützenstraße 24 dorthin um und produzierten in immer umfangreicheren Werksgebäuden u.a. Kinderwagen, Fahrräder, Motorräder und dann auch Automobile. In den 1920er Jahren stellten die Brennabor-Werke nicht nur den größten Industriekomplex der Stadt Brandenburg dar, sie waren mit 7.500 Beschäftigten auch zeitweise der größte Automobilhersteller und eines der größten Privatunternehmen Deutschlands. Anfang Dezember 1931 kam der Betrieb in Zahlungsschwierigkeiten. Deshalb folgten im Januar 1932 ein Vergleichsverfahren und der Beginn der Liquidation des Betriebes als Familienunternehmen. Am 25.04.1932 wurden die Brennabor-Werke durch den Gläubigerrat in eine AG umgewandelt, Hauptaktionär war die Commerzbank. Wenig später kam es zur Einstellung des Autobaus und des Einstiegs in die Rüstungsproduktion.

     

Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt

Die Schützenstraße mit den Brennabor-Werken

      

Weitere Betriebe siedelten sich in den benachbarten Straßen an. Darunter war im Bereich Werderstraße, Bahnhofstraße, Große Gartenstraße die am 14.08.1896 im Firmenregister eingetragene CORONA Fahrradwerke und Metallindustrie A.-G. Brandenburg (Havel). Diese Firma war bereits 1891/92 als "Adolf Schmidt, Corona Fahrradfabrik und Reparaturwerkstatt" gegründet worden, ihr Registereintrag erfolgte nach Umwandlung in eine AG. Neben Fahrrädern wurden auch Motorräder und später Dreiradmobile auf Basis eines Motorrades hergestellt. Im Herbst 1929 erfolgte die Liquidation der Firma und die Verlegung von Material und Anlagen nach Sangerhausen zur dortigen Gründung einer Corona Fahrradfabrik GmbH.

     

Karte am 02.11.1902 gelaufen

Verlag: J. C. Koenig & Ebhard, Hannover, Foto: unbekannt

Werbepostkarte der Corona Fahrradwerke

 

Zur Versorgung vornehmlich von Arbeitern mit Wohnraum entwickelten sich entlang der neu angelegten Straßen zahlreiche Wohnquartiere. Die typische gründerzeitliche Wohnbebauung, mehrgeschossig, weitgehend geschlossen, teilweise mit Seitenflügeln und Hinterhäusern, prägt das Stadtbild der Bahnhofsvorstadt bis heute. Vielfach entwickelten sich auf den Hinterhöfen auch kleinere Betriebe. Ihre Existenz erkannte man oft an Schriftzügen über dem Torweg der "Vorderhäuser" auf der Straßenseite.

Eine klassische Bahnhofsstraße als belebte Geschäftsstraße zwischen Stadtzentrum und Bahnhof wie in vielen anderen Städten entstand allerdings nicht. Die Weltwirtschaftskrise 1929 und der zweite Weltkrieg beendeten die expandierende Entwicklung der Bahnhofsvorstadt.

      

Karte nicht gelaufen

Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt

Haus Kleine Gartenstraße 1 mit bereits geschlossener "Brot & feine Kuchen Bäckerei" Karl Neuendorf. Die Backstube mit Backofen und darüber liegender Wohnung befand sich im linken Hofgebäude, 1980er Jahre abgerissen. Im rechten Hofgebäude war die Werkstatt und Wohnung der "Bau- u. Möbeltischlerei mit Elektrischem Betrieb" von A. Wasserroth und außerdem (nicht auf dem Schriftzug) firmierte hier der Malerbetrieb von Malermeister Otto Düngel, dem Grundstück und Immobilien mit einem großen dahinter liegenden Garten gehörten, Slg. H. M. Waßerroth

      

Bei der Erstürmung der Stadt aus Richtung Schmerzke über die Potsdamer Vorstadt durch die Rote Armee in der letzten Kriegswoche Ende April 1945 drangen die Truppen nicht nur über die halb zerstörte Sankt-Annen-Brücke ins Stadtzentrum vor, sondern auch in die Bahnhofsvorstadt. Durch die erbitterten Kämpfe wurden noch viele Gebäude, die die Bomben bisher verschont hatten, in Brand geschossen und zerstört. Speziell in Bahnhofsnähe haben mehrere Gebäudekomplexe den Krieg nicht überstanden und blieben nach der Enttrümmerung eine Brache. Von diesen Kriegsschäden geprägt, erfolgte in den 1950er Jahren nur punktuell der Wiederaufbau von Wohngebäuden. Im Bereich Blumenstraße/Werderstraße setzten Neubauten im Stil der Architektur dieser Zeit moderne Akzente. Ansonsten unterblieb eigentlich eine Modernisierung der Altbauten fast vollständig, Baulücken wurden nahezu nie geschlossen. Als ab 1958 dann moderne Wohnungen in den Neubaugebieten am Stadtrand entstanden, verließen immer mehr Bewohner die Bahnhofsvorstadt.

Der Bereich der ehemaligen Brennabor-Werke blieb trotz seiner ca. 40 %igen Zerstörung der Gebäude und der Demontage als Rüstungsbetrieb durch die Russen einer der wichtigsten Industriestandorte der Stadt. Schwerpunkt war hier zunächst der Wiederaufbau eines Traktoren- bzw. Getriebewerkes. Später kam das Metallleichtbaukombinat hinzu.

Wichtige infrastrukturelle Maßnahmen, wie der Bau des Zentrumsringes Ende der 1970er Jahre, des Busbahnhofes am Trauerberg sowie der Ausbau der Bauhofstraße, verbesserten zwar die verkehrliche Anbindung, hatten jedoch wenig Einfluss auf die Attraktivität als Wohnstandort. Dies änderte sich auch nicht durch vereinzelte Wohnungsneubauten in den 1970er und 1980er Jahren, z. B. am Hauptbahnhof und am Trauerberg.

    

Blick von der Bahnhofstraße in die Große Gartenstraße (damals noch Ernst-Thälmann-Straße) zur Zeit der Umbaumaßnahmen an der Straßenbahntrasse im Zuge des Baus des Zentrumringes,

Aufnahme: Mai 1979 © H. M. Waßerroth

    

Mit der wirtschaftlichen und politischen Wende 1990 schlossen nach und nach viele Industriebetriebe in der Bahnhofsvorstadt. Die meist auf den Hinterhöfen existierenden Kleinbetriebe und privates Handwerk mussten aufgeben, wenn sie nicht schon vorher der sozialistischen Kollektivierung und Zentralisierung zum Opfer gefallen waren. Der Wohnungsbestand war größtenteils marode, private und öffentliche Investitionen fehlten zur Aufwertung des Stadtteils. Die soziale Entmischung der verbliebenen Mieter setzte sich weiter fort, die Bahnhofsvorstadt drohte zum Problemviertel zu werden.

Das Image der Bahnhofsvorstadt litt schon in den 1950er Jahren, als die Altbauten verfielen und einen vergleichsweise schlechten Wohnkomfort aufwiesen, während dann in den Neubaugebieten moderne Wohnungen entstanden. Zusätzlich verschärft wurde die Situation nach 1990 durch den Leerstand zahlreicher Betriebe. Ein Tiefpunkt der Stadtteilentwicklung war erreicht.

       

Blick vom Trauerberg in die Große Gartenstraße entlang Richtung Bahnhof zur Zeit der Umbaumaßnahmen an der Straßenbahntrasse im Zuge des Baus des Zentrumringes,

Aufnahme: Frühjahr 1991 © H. M. Waßerroth

 

Eine Wendung brachte damals die Aufnahme der Stadt in verschiedene Förderprogramme, wie URBAN und Stadtumbau Ost. Sie ermöglichten in der Bahnhofsvorstadt einen Struktur- und Imagewandel in Angriff zu nehmen. Straßen wurden erneuert und viele Gebäude sind bereits saniert und modernisiert worden. Schandflecke verfallener Betriebsanlagen und verfallener Gebäude verschwanden, Grünflächen entstanden. Das gesamte Bahnhofsvorfeld bekam ein neues Aussehen.

   

Verjüngungskur für das Bahnhofsgebäude, nur die historischen Außenmauern von 1846 blieben stehen, Aufnahme: 10.08.2012, © H. M. Waßerroth

   

Blick vom Bahnhof in die Große Gartenstraße, Aufnahme: 10.08.2012, © H. M. Waßerroth

        

Blick vom Bahnhof in die Kleine Gartenstraße, Aufnahme: 10.08.2012, © H. M. Waßerroth

     

Viele Jahre war die Eisenbahn der Motor der industriellen Entwicklung von Städten und ganzen Regionen. Heute läuft der Kraftverkehr der Eisenbahn den Rang ab, viele Bahnanlagen werden nicht mehr gebraucht, wurden stillgelegt und zurückgebaut. Stückgutverkehr ist nicht mehr lukrativ, einzig Massengüter lassen sich noch ökonomisch mit der Bahn transportieren und das vornehmlich im Fernverkehr. Für bestimmte Frachten, wie auch im Personenfernverkehr klopft aber heute bereits der Luftverkehr an.

 

aus verschiedenen Quellen zusammengefasst,

bearbeitet und ergänzt von H. M. Waßerroth

CC BY-NC-ND 3.0 de

Vers. 1.2.0. vom 18.01.2022

© Harumi Michelle Waßerroth