Als
Brandenburg an der Havel Eisenbahnanschluss bekam
und
die Entwicklung der
Bahnhofsvorstadt
Der 07. August ist der Tag, an
dem sich für die Havelstadt Brandenburg jedes Jahr
der Anschluss an das Eisenbahnnetz jährt. Wer heute
mit dem Zug von Potsdam nach Magdeburg oder
umgekehrt fährt, wird sich kaum Gedanken machen, wie
diese wichtige Bahnlinie entstand.
Im Oktober 1838, es war gerade
mal knapp 3 Jahre her, dass in Deutschland die erste
Eisenbahnlinie in Betrieb genommen wurde, begannen
bereits die Bemühungen zur Fortführung der erst am
22.09.1838 eröffneten Berlin-Potsdamer Eisenbahn
nach Magdeburg. Der Magistrat der Stadt Brandenburg
setzte sich mit der Berlin-Potsdamer
Eisenbahngesellschaft, den Städten Genthin, Burg und
Magdeburg in Verbindung. Am 16.04.1840 ging dann
eine Vorlage an die Stadtverordnetenversammlung von
Brandenburg, eine Immediateingabe an den König, eine
Vorstellung an den Minister v. Rochow und je ein
Schreiben an den Magistrat in Genthin, den
Rittergutsbesitzer v. Britzke, an die Stände des
Kreises Zauch-Belzig und an den Direktor v.
Puttkamer ab. Das gebildete Komitee, dem der
Oberbürgermeister Ziegler und die Stadtverordneten
Meinhard, Schonert, Aug. Spitta und Betge
angehörten, trat mit dem Direktor der
Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn Emil Müller in
Verbindung. Das Ziel war die Errichtung einer
Eisenbahnlinie von Potsdam über Brandenburg,
Genthin, Tangermünde, Stendal, Salzwedel und
Lüneburg nach Bergedorf. Von Genthin sollte eine
Zweigbahn nach Magdeburg führen. In Salzwedel wurde
eine Konferenz abgehalten und in Brandenburg wurden
in kürzester Zeit 0,5 Mill. Mark gezeichnet.
Zahlreiche Vorstellungen gingen an den
Oberpräsidenten und den Minister des Innern, an den
Finanzminister und den König.
Beim Nachsuchen der staatlichen
Genehmigung für den Bau dieser Linie stieß man aber
auf große Hindernisse. Die Berlin-Anhalter
Gesellschaft durchkreuzte den Plan durch den
schnellen Bau der Strecke Berlin - Luckenwalde -
Dessau - Cöthen. In Cöthen bestand Anschluss an die
Leipzig-Magdeburger Eisenbahn. So war Magdeburg auf
einem Umweg mit Berlin verbunden. Für die Verbindung
Berlin - Hamburg siegte, auch aus militärischen
Gründen, die Linienführung über Nauen und
Wittenberge. Nun stand also nur noch die Linie
Potsdam - Magdeburg zur Diskussion.
Durch Magdeburgs Verbindung mit
Halberstadt und die Aussicht auf eine Weiterführung
des Schienenweges bis nach Antwerpen ahnte die
preußische Regierung die Rentabilität einer
Direktverbindung Berlins mit Magdeburg. Am
08.05.1844 traf die Mitteilung des Ministers v.
Rochow über die Konzessionierung einer Eisenbahn von
Potsdam über Brandenburg nach Magdeburg ein, so dass
noch im gleichen Jahr mit dem Bau begonnen werden
konnte. Sofort trat ein Eisenbahnkomitee zusammen,
dem Oberlandesgerichtsrat Augustin, Regierungsbaurat
v. Unruh, Stadtrat Jacobs, Bürgermeister Stoepel,
Baukondukteur Heß in Potsdam, Polizeipräsident v.
Puttkamer, geh. Kommerzienrat M. Beer, Kaufmann
Stegmüller in Berlin und Oberbürgermeister Ziegler
angehörten.
Die Stadt Brandenburg gab
unentgeldlich aus den städtischen Forsten 200 Eichen
und 200 Kiefern und das zur der Errichtung der
Eisenbahngebäude notwendige Gelände. Desweiteren
zeichnete die Stadt für 377.000 Mark Aktien und trat
9 ha, 2 a und 98 m2
(= 94.298 m2)
Weide-, Acker- und Forstland und 2 ha, 28 a und 94 m2
(= 22.894 m2)
Wiesen für zusammen 10.708 Mark an die
Eisenbahngesellschaft ab.
Nun gab es aber noch so einige
Geländeschwierigkeiten zu überwinden. In Potsdam
mussten mehrere Havelbrücken errichtet werden, im
Golmer Bruch machte sich die Anlage eines Dammes
erforderlich. Im Jeseriger Loch traten dann nochmals
große Schwierigkeiten mit der unzureichenden
Tragfähigkeit des Untergrundes bei der Anlage des
Dammes auf. Aber auch diese wurden schließlich
gemeistert.
Im August 1846 konnten
Probefahrten von Potsdam bis zur Friedrichstadt vor
Magdeburg unternommen werden.
Der 07. August 1846 war ein
großer Tag für die Stadt Brandenburg, die
Verkehrsübergabe der Strecke von Potsdam nach
Magdeburg. Nur die Vollendung der Brücken am
Potsdamer Bahnhof und in Magdeburg dauerte noch
einige Zeit. Die Reisenden mussten dort auf
Pferdedroschken umsteigen. Ab 13.09.1846 waren in
Potsdam die neue Havelbrücke und ab 19.08.1848 in
Magdeburg die Elbebrücke und die Bahnhofsanlagen
fertig.
Anfangs verkehrte in jeder
Richtung täglich ein Zug, später zwei und im
endgültigen Fahrplan vier Züge in jeder Richtung.
Schnellzüge befuhren die Strecke erst ab 1852. Eine
Fahrt von Potsdam nach Brandenburg dauerte 1 bis 1
½ Stunden, von
Brandenburg nach Magdeburg 2 ½
Stunden. Für eine Fahrt 3. Klasse bezahlte man von
Brandenburg nach Berlin 21 Silbergroschen und nach
Magdeburg 1 Taler. Damals bedeutete 3. Klasse, im
offenen Wagen zu reisen, bei Regen konnte höchstens
ein Segeltuch übergedeckt werden. Erst später gab es
ein festes Verdeck und wurden Puffer zwischen den
Personenwagen angebracht.
Kartenausschnitt, Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt
Gleisseite des Brandenburger Bahnhofs,
Aufnahmen von dieser Seite in frühen Jahren
sind selten
Hunderte Schaulustige strömten am
Eröffnungstag zum neuen Bahnhof oder zur Potsdamer
Landstraße, um das Dampfross vorüberschnauben zu
sehen. Aber mit der Potsdam-Magdeburger Eisenbahn
verband sich nicht nur Freude. Für die
Eröffnungsfahrt hatte die Eisenbahndirektion zwar
Freikarten ausgegeben, aber nur für Genthin und Burg
einen leeren Wagen bereitgehalten. Der Baumeister
und Betriebsinspektor ließ den Bahnhof auf Grund des
überaus starken Andrangs mit Stricken absperren und
obendrein noch dick mit Teer beschmieren. Dadurch
wurden natürlich die Kleider der Herandrängenden und
-gedrängten beschmutzt, was eine gewaltige Empörung
in der Stadt hervorrief. Dem auf dem Bahnhof
gebietenden Baumeister warf man schroffes,
gewalttätiges Benehmen gegenüber der brandenburger
Bevölkerung vor. Er soll den Kellnern der
Bahnhofsrestauration verboten haben, Speisen und
Getränke zu verabreichen und sogar die Einwohner aus
den Wartesälen vertrieben haben. Oberbürgermeister
Ziegler griff in diesen Streit mit ein, konnte zu
einer Schlichtung aber nicht viel erreichen.
Unzufriedenheit herrschte auch
über das nicht gehaltene Versprechen, den
Brandenburgern wie den Potsdamern die Teilnahme an
den Probefahrten zu ermöglichen. Es hatten sich aber
doch einige einen Freiplatz erobert und sind nicht
wie Freifahrt gewährt wurde, bis zum nächsten
Haltepunkt, sondern bis ans Ende der Strecke
mitgefahren. Enttäuscht waren sie allerdings, als
man ihnen die freie Rückfahrt verweigerte und sie
die 11 Meilen von Magdeburg bis Brandenburg zu Fuß
zurücklegen mussten. In Brandenburg angekommen,
waren sie dann noch obendrein dem Spott der
Bekannten ausgesetzt.
Karte 1909 gelaufen
Verlag: unbekannt.,
Foto: unbekannt
Bahnhof mit Bahnhofsvorplatz um 1900
In der Nähe des Bahnhofes wurde
ein gewaltiger Koksofen errichtet. Er lieferte das
Brennmaterial für die Dampflokomotiven. Später
musste er dann dem Güterbahnhof weichen.
Im Jahre 1848 blieb die Dividende
der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn mit 14.000
Mark aus. Dadurch entstand eine Vermehrung der
Stadtschulden, da diese Summe bereits zur
Schuldentilgung verplant war. Eine Änderung
zeichnete sich nicht ab, so dass die Stadt die
erworbenen Eisenbahnaktien wieder veräußerte.
So machte Brandenburg an der
Havel also die Bekanntschaft mit der neuen Technik
des Verkehrs, der Eisenbahn. Es sollten aber noch
einige Jahrzehnte vergehen, bis Brandenburg sich zu
einem Eisenbahnknoten entwickeln konnte.
Karte am 02.02.1899 gelaufen
Verlag: J. Friedländer. Brandenburg a. H.
Die Entwicklung der
Bahnhofsvorstadt
Für Brandenburg gab es durch die
Eisenbahn manch bedeutsame Veränderung.
Den Bahnhof erreichte man anfangs
nur über die bereits bestehende Schützenstraße
(heute Geschwister-Scholl-Straße) und die neu
angelegte Bahnhofstraße. Die Schützenstraße führte
zum Neust. Schützenhaus, welches nun südlich der
neuen Bahnlinie am Rande des Breiten Bruchs lag. Da
das Schützenhaus nicht anders zu erreichen war,
musste
am Bahnhof ein Bahnübergang im Zuge der
Schützenstraße eingerichtet werden. Vor dem
Bahnübergang zweigte die neue Bahnhofstraße ab und
führte bis vor das neue Bahnhofsgebäude.
Karte am 13.04.1903 gelaufen
Verlag u. Foto: Paul Petzold
Photogr. Brandenburg a. H.
Das Neust. Schützenhaus
Brandenburg nach seinem Neubau für die Neustädtische
Schützengilde um 1900,
vor der Wende wurde es als
Klubhaus vom VEB Getriebewerk Brandenburg genutzt, nach der Wende
hatte hier die beliebte Disco Manhattan 12 Jahre
lang ihr
Domizil, die weitere Nutzung ist ungewiss ....
Vielen Brandenburgern ist der
Bahnübergang als Schranke Schützenworth bestimmt
noch bekannt. Erst mit dem umfangreichen
Umbau der Bahnhofstraße zur Straße Am Hauptbahnhof
wurde der Übergang geschlossen und entfernt,
geblieben ist die Fußgängerbrücke. Das Schützenworth und Hoher Steg sind heute straßenmäßig
über die Potsdamer Landstraße erreichbar.
Foto: unbekannt
Der Bahnübergang zum
Schützenworth,
Aufnahme: um 1990
© Slg. H. M. Waßerroth
Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt
Bahnhofstraße mit der neuen Pferdebahn der
Stadt Brandenburg etwa 1900
Die Bevölkerungszahlen der Stadt
Brandenburg zu dieser Zeit waren, wenn auch wegen
verschiedener Einflüsse stark schwankend, ständig
steigend. Da lag es am nächsten, nun das Gelände
zwischen Neustadt Brandenburg und Bahnhof zu
bebauen. Um eine unmittelbare Verbindung zwischen
dem Steintor und dem Bahnhof zu schaffen, versuchte
die Stadt die dort liegenden Gärten und Äcker zu
erwerben. Die Besitzer stellten aber für die Stadt
zu hohe Forderungen, so dass der Magistrat sich das
Enteignungsrecht von der Regierung erbat, um so die
Große und Kleine Gartenstraße anlegen zu können..
Die Große Gartenstraße, sie
reichte damals nur bis zum Trauerberg, wurde dann im
Jahre 1846 verlängert und mit der Bebauung
begonnen. Die Bebauung der Kleinen
Gartenstraße begann im Jahre 1854. Das alles ging
aber so langsam vor sich, dass noch in den 1880er
Jahren zahlreiche Scheunen und Äcker vorhanden
waren. Die Kleine Gartenstraße wurde sogar zur
Bahnhofstraße hin noch mit einem Zaun abgegrenzt. 1883 sind beide
Straßen mit Lindenbäumen bepflanzt worden.
In den
angrenzenden Straßen begann die Bebauung:
Werderstraße 1861, Bahnhofstraße und Flutstraße
1862, Schulstraße 1873.
1846 schlug eine Baukommission
auch die Pflasterung einiger Straßen zum Bahnhof
vor, um fahr- und gangbare Verbindungswege zwischen
Stadt und Eisenbahn zu schaffen.
Stadtverordnetenversammlung und Magistrat waren aber der
Meinung, man solle warten, bis vielleicht die
Eisenbahngesellschaft zur Herstellung der
Verbindungswege Beihilfe leiste. Diese Hoffnung
hatte sich bald zerschlagen, so dass am 04.09.1846
die Stadtverordnetenversammlung mit 22 gegen 19
Stimmen die Pflasterung der Schützenstraße (Geschwister-Scholl-Straße) vorzubereiten beschloss,
aber bis zur Einführung eines neuen Baurates die
Ausführung vertagte. Nach Vollendung der Pflasterung
der Schützenstraße forderten im September 1847 die
Stadtverordneten Netzenthin, Kiesel und Hampke die
Pflasterung der Großen Gartenstraße. Die
Stadtverordnetenversammlung lehnte es aber ab, weil
sie ganz überflüssig scheine.
Karte nicht gelaufen
Verlag: unbekannt,
Foto: unbekannt
Große Gartenstraße vor 1911 mit Blick vom Trauerberg
(rechts)
Richtung Bahnhof
Trotz zahlreicher
Petitionen verzögerte sich lange die Pflasterung der
Großen Gartenstraße. 1861 erfolgte endlich die Pflasterung mit einem
Aufwand von 3.463 Mark, angrenzende Hausbesitzer
hatten 735 Mark beigesteuert, vom Trauerberg bis zu
Müllers Garten (jetzt Nr. 43-48) und anschließend
mit einer Aufwendung von 8.749 Mark das Reststück
bis zum Bahnhof.
Nach langem Hin und Her, ob ein
Gaswerk notwendig sei und ob es auf Stadtkosten oder
durch einen konzessionierten Privatunternehmer
errichtet werden solle, einigte man sich erst im
Jahre 1860, nachdem verschiedene kleinere Städte der
Provinz mit dem Bau eines Gaswerkes gute Erfahrungen
gemacht hatten. Gas wurde zu dieser Zeit nahezu
ausschließlich zu Beleuchtungszwecken verwendet.
Am 10.01.1861 fand die erste
Sitzung statt, in der beschlossen wurde, dem
Gaswerkdirektor Kornhardt aus Stettin die
Ausarbeitung der Entwürfe in Auftrag zu geben. Die
Ausführung des Gaswerkes wurde dann auch dem
Gaswerkdirektor Kornhardt unter der Bauleitung des
Regierungsbaurats a.D. von Unruh übertragen. Das
Werk wurde neben dem Güterbahnhof an der
Schützenstraße auf einem von der Berlin-Magdeburger
Eisenbahnverwaltung erworbenem Grundstück errichtet.
Seine Leistung war auf 12.000 Kubikfuß jährlich
bemessen. Betriebsbereit ab 01.09.1862 wurde seine
Eröffnung aber auf den 12.09.1862 verschoben, weil
am 08.09.1862 Vollmond herrschte und deshalb mit
keinem Gasverbrauch zu rechnen war.
1877 waren erste Erweiterungen
notwendig, weil der Gasverbrauch in der Stadt stetig
stieg.
Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt
Koksaufbereitungsanlage im Gaswerk an der
Schützenstraße
Nach mehreren umfangreichen
Erweiterungen des Gaswerkes in den Folgejahren war
die Kapazität des genutzten Grundstücks erreicht.
1908 gingen die Anlagen des neuen Gaswerkes in der
Neuendorfer Straße zwischen Altstadt Bahnhof und
Unterhavel in Betrieb. Das alte Werk diente fortan
nur noch als Reserve bis im Jahre 1920 die
städtischen Körperschaften den Beschluss fassten,
die Anlagen auf Abbruch zu verkaufen und das
Grundstück im Tauschwege der Firma Gebrüder
Reichstein zu übertragen.
Durch die Lage des Bahnhofes vor
den Toren der Stadt wurde die Einrichtung einer
Droschkenwache befürwortet. Zu diesem Zweck hatte
der Magistrat der Stadt ein Reglement für das
Droschkenfuhrwesen herausgegeben. Das Lohnfuhrwesen
übertrug die Stadt 1846 einem einzigen Unternehmer
als Alleinbevorrechtigten. Er war im Gegensatz zu
allen anderen Fuhrwerksbesitzern bereit, seine
Gespanne für den Preis von 2 ½
Silbergroschen für eine Person und Fahrt zur
Verfügung zu stellen. Die erste Pferdedroschke fuhr
August Taege.
Das Monopol der Pferdedroschken
endete mit Eröffnung der ersten Teilstrecke der
Pferdebahn von der Nicolaistraße über Plauer Straße,
Ritterstraße, Hauptstraße, Sankt-Annen-Straße,
Schützenstraße zum Bahnhof am 01.10.1897. Am
12.11.1898 wurde der Straßenbahnring über Große
Gartenstraße, Bauhofstraße, Luckenberger Straße
geschlossen.
Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt
Bahnhofsvorplatz mit Pferdestraßenbahn vor
dem "Hotel zur Eisenbahn", später Bahnhofshotel und Pferdedroschken um
1900,
Blick vom Bahnhof in die Kleine Gartenstraße
Die Bahnhofsvorstadt entwickelte sich
zweigeteilt. Die Schützenstraße erhielt durch die
Ansiedlung der Gasanstalt und ab 1874 der Brennabor-Werke ein
vornehmlich industrielles Profil und war bis Anfang
des 20. Jahrhunderts eines der wichtigsten
Industriegebiete der Stadt Brandenburg an der Havel.
Nur wenige Wohnbauten entstanden in der
Schützenstraße. So die Häuserzeile auf der rechten
Seite, damals gegenüber des Gaswerkes. Neben dem
Gaswerk befand sich in der Schützenstraße ein großer
Hof, der von Budenhäusern umsäumt war, den
sogenannte Hammelhof. Dies waren Bendels Buden, die
dem Ratszimmermann Bendel gehörten und an der Straße
hatten die Pferdeställe der 4. Eskadron des
Königlich-Preußischen Kürassier-Regiments Nr. 6
ihren Standort. Diese Grundstücke erwarben 1882 die
Gebrüder Reichstein für die Erweiterung ihrer
Fabrikanlagen.
Budenhäuser waren primitive Quartiere, die es
ursprünglich auf Grundstücken in vielen Straßen der
Stadt gab. Sie wurden von wohlhabenden Bürgern
erbaut und an die sogenannten Budenleute vermietet.
Budenleute gehörten zur untersten Schicht der
Stadtbevölkerung und besaßen kein Bürgerrecht. Sie
wurden als Tagelöhner vom Rat angestellt und durften
nicht in Konkurrenz zu Berufen der Bürgerschaft
treten.
Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt
Bendels Buden auf dem Hammelhof in der
Schützenstraße 1882
Die von den Gebrüdern
Reichenstein 1871 als Kinderwagenfabrik gegründeten Brennabor-Werke
zogen nach Ankauf des Grundstücks Schützenstraße 24
dorthin um und produzierten in immer umfangreicheren Werksgebäuden u.a.
Kinderwagen, Fahrräder, Motorräder und
dann auch Automobile. In den 1920er Jahren stellten die Brennabor-Werke nicht nur den größten
Industriekomplex der Stadt Brandenburg dar, sie waren mit 7.500
Beschäftigten auch zeitweise der größte
Automobilhersteller und eines der größten
Privatunternehmen Deutschlands. Anfang Dezember 1931
kam der Betrieb in Zahlungsschwierigkeiten. Deshalb
folgten im Januar 1932 ein Vergleichsverfahren und
der Beginn der Liquidation des Betriebes als
Familienunternehmen. Am 25.04.1932 wurden die
Brennabor-Werke durch den Gläubigerrat in eine AG
umgewandelt, Hauptaktionär war die Commerzbank.
Wenig später kam es zur Einstellung des Autobaus und
des Einstiegs in die Rüstungsproduktion.
Slg: H.M.Waßerroth, Foto: unbekannt
Die Schützenstraße mit den Brennabor-Werken
Weitere Betriebe siedelten sich
in den benachbarten Straßen an. Darunter
war im Bereich Werderstraße, Bahnhofstraße, Große
Gartenstraße die am 14.08.1896 im Firmenregister
eingetragene CORONA Fahrradwerke und
Metallindustrie A.-G. Brandenburg (Havel). Diese
Firma war bereits 1891/92 als "Adolf Schmidt, Corona
Fahrradfabrik und Reparaturwerkstatt" gegründet
worden, ihr Registereintrag erfolgte nach Umwandlung
in eine AG. Neben Fahrrädern wurden auch Motorräder
und später Dreiradmobile auf Basis eines Motorrades
hergestellt. Im Herbst 1929 erfolgte die Liquidation
der Firma und die Verlegung von Material und Anlagen
nach Sangerhausen zur dortigen Gründung einer Corona
Fahrradfabrik GmbH.
Karte am 02.11.1902 gelaufen
Verlag: J. C. Koenig & Ebhard,
Hannover,
Foto: unbekannt
Werbepostkarte der Corona
Fahrradwerke
Zur Versorgung vornehmlich von Arbeitern mit
Wohnraum entwickelten sich entlang der neu
angelegten Straßen zahlreiche Wohnquartiere. Die
typische gründerzeitliche Wohnbebauung,
mehrgeschossig, weitgehend geschlossen, teilweise
mit Seitenflügeln und Hinterhäusern, prägt das
Stadtbild der Bahnhofsvorstadt bis heute. Vielfach
entwickelten sich auf den Hinterhöfen auch kleinere
Betriebe. Ihre Existenz erkannte man oft an
Schriftzügen über dem Torweg der "Vorderhäuser" auf
der Straßenseite.
Eine klassische Bahnhofsstraße
als belebte Geschäftsstraße zwischen Stadtzentrum
und Bahnhof wie in vielen anderen Städten entstand
allerdings nicht. Die Weltwirtschaftskrise 1929
und der zweite Weltkrieg beendeten die expandierende
Entwicklung der Bahnhofsvorstadt.
Karte nicht gelaufen
Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt
Haus
Kleine Gartenstraße 1 mit bereits
geschlossener "Brot & feine Kuchen Bäckerei"
Karl Neuendorf. Die Backstube mit
Backofen und darüber liegender Wohnung
befand sich im linken Hofgebäude, 1980er
Jahre abgerissen. Im rechten
Hofgebäude war die Werkstatt und Wohnung
der "Bau- u. Möbeltischlerei mit
Elektrischem Betrieb" von A. Wasserroth und
außerdem (nicht
auf dem Schriftzug) firmierte hier der Malerbetrieb von Malermeister
Otto Düngel, dem Grundstück und Immobilien mit einem
großen dahinter liegenden Garten gehörten,
Slg. H. M. Waßerroth
Bei der Erstürmung der Stadt aus
Richtung Schmerzke über die Potsdamer Vorstadt durch
die Rote Armee in der letzten Kriegswoche Ende April
1945 drangen die Truppen nicht nur über die halb
zerstörte Sankt-Annen-Brücke ins Stadtzentrum vor,
sondern auch in die Bahnhofsvorstadt. Durch die
erbitterten Kämpfe wurden noch viele Gebäude, die
die Bomben bisher verschont hatten, in Brand
geschossen und zerstört. Speziell in Bahnhofsnähe
haben mehrere Gebäudekomplexe den Krieg nicht
überstanden und blieben nach der Enttrümmerung eine
Brache. Von diesen Kriegsschäden geprägt,
erfolgte in den 1950er Jahren nur punktuell der
Wiederaufbau von Wohngebäuden. Im Bereich
Blumenstraße/Werderstraße setzten Neubauten im Stil
der Architektur dieser Zeit moderne Akzente. Ansonsten
unterblieb eigentlich eine Modernisierung der
Altbauten fast vollständig, Baulücken wurden nahezu
nie geschlossen. Als ab 1958 dann moderne
Wohnungen in den Neubaugebieten am Stadtrand
entstanden, verließen immer mehr Bewohner die
Bahnhofsvorstadt.
Der Bereich der ehemaligen
Brennabor-Werke blieb trotz seiner ca. 40 %igen
Zerstörung der Gebäude und der Demontage als
Rüstungsbetrieb durch die Russen einer der wichtigsten
Industriestandorte der Stadt. Schwerpunkt war hier
zunächst der Wiederaufbau eines Traktoren- bzw. Getriebewerkes. Später
kam das Metallleichtbaukombinat hinzu.
Wichtige
infrastrukturelle Maßnahmen, wie der Bau des
Zentrumsringes Ende der 1970er Jahre, des Busbahnhofes
am Trauerberg sowie der Ausbau der Bauhofstraße, verbesserten zwar die verkehrliche Anbindung, hatten
jedoch wenig Einfluss auf die Attraktivität als Wohnstandort.
Dies änderte sich auch nicht durch vereinzelte
Wohnungsneubauten in den 1970er und 1980er Jahren,
z. B. am Hauptbahnhof und am Trauerberg.
Blick von der Bahnhofstraße in die Große Gartenstraße
(damals noch Ernst-Thälmann-Straße) zur Zeit
der Umbaumaßnahmen an der Straßenbahntrasse
im Zuge des Baus des Zentrumringes,
Aufnahme: Mai 1979
© H. M. Waßerroth
Mit der wirtschaftlichen und
politischen Wende 1990 schlossen nach und nach viele
Industriebetriebe in der Bahnhofsvorstadt. Die meist
auf den Hinterhöfen existierenden Kleinbetriebe und
privates Handwerk mussten aufgeben, wenn sie nicht
schon vorher der sozialistischen Kollektivierung und
Zentralisierung zum
Opfer gefallen waren. Der
Wohnungsbestand war größtenteils marode, private und
öffentliche Investitionen fehlten zur Aufwertung des
Stadtteils. Die soziale Entmischung der
verbliebenen Mieter setzte sich weiter fort, die
Bahnhofsvorstadt drohte zum Problemviertel zu
werden.
Das Image der
Bahnhofsvorstadt litt schon in den 1950er Jahren,
als die Altbauten verfielen und einen
vergleichsweise schlechten Wohnkomfort aufwiesen,
während dann in den Neubaugebieten moderne Wohnungen
entstanden. Zusätzlich verschärft wurde die
Situation nach 1990 durch den Leerstand zahlreicher
Betriebe. Ein Tiefpunkt der Stadtteilentwicklung war
erreicht.
Blick vom Trauerberg in die Große Gartenstraße
entlang Richtung Bahnhof zur Zeit
der Umbaumaßnahmen an der Straßenbahntrasse
im Zuge des Baus des Zentrumringes,
Aufnahme: Frühjahr 1991
© H. M. Waßerroth
Eine Wendung brachte damals die Aufnahme
der Stadt in verschiedene Förderprogramme, wie URBAN
und Stadtumbau Ost. Sie ermöglichten in der
Bahnhofsvorstadt einen Struktur- und Imagewandel in
Angriff zu nehmen. Straßen wurden erneuert und viele
Gebäude sind bereits saniert und modernisiert
worden. Schandflecke verfallener Betriebsanlagen und
verfallener Gebäude verschwanden, Grünflächen
entstanden. Das gesamte Bahnhofsvorfeld bekam ein
neues Aussehen.
Verjüngungskur für das Bahnhofsgebäude, nur
die historischen Außenmauern von 1846
blieben stehen, Aufnahme: 10.08.2012,
© H. M. Waßerroth
Blick vom Bahnhof in die Große Gartenstraße,
Aufnahme: 10.08.2012,
© H. M. Waßerroth
Blick vom Bahnhof in die Kleine Gartenstraße,
Aufnahme: 10.08.2012,
© H. M. Waßerroth
Viele Jahre war die
Eisenbahn der Motor der industriellen Entwicklung
von Städten und ganzen Regionen. Heute läuft der
Kraftverkehr der Eisenbahn den Rang ab, viele
Bahnanlagen werden nicht mehr gebraucht, wurden
stillgelegt und zurückgebaut. Stückgutverkehr ist
nicht mehr lukrativ, einzig Massengüter lassen sich
noch ökonomisch mit der Bahn transportieren und das vornehmlich
im Fernverkehr. Für bestimmte Frachten, wie auch im
Personenfernverkehr klopft aber heute bereits der
Luftverkehr an.
aus verschiedenen Quellen
zusammengefasst,
bearbeitet und ergänzt von H. M. Waßerroth
CC BY-NC-ND 3.0 de
Vers. 1.2.0. vom 18.01.2022
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