Die Havelregulierungsbauten in Brandenburg an der Havel

Die Schaffung des Mühlenstaus, der Bau des Mühlendammes durch die einzelnen Havelarme bei Brandenburg im Mittelalter, war eine Wasserbaumaßnahme mit sehr weit reichenden Auswirkungen. Der Wasserspiegel der Oberhavel wurde dadurch angehoben. Viele ehemals trockene Gebiete der ohnehin sehr flachen Havelniederung vernässten oder standen unter Wasser. Selbst mittelalterliche Siedlungen gingen in den Fluten unter. In Zeiten mit Hochwasser war die Situation noch prekärer, dann wirkte sich der Havelstau bis zur Stadt Spandau aus. Auch durchgängiger Schiffverkehr war mangels Schleusen nicht mehr möglich. Es wurde notwendig, eine Umfahrung des Staus anzulegen; die sogenannte Flutrinne. 1315 wurde diese Flutrinne zum ersten Mal erwähnt. Sie umrundete die Neustadt südlich in weitem Bogen, um dem Stau nicht zu viel Wasser zu entziehen. Östlich der Neustadt zweigte dieser künstliche Wasserlauf von der Havel ab, umrundete in gewundenem Lauf die Neustadt und mündete etwa 1,2 km südwestlich der Langen Brücke in die Unterhavel. Sie hatte eine Gesamtlänge von ca. 4,5 km und ist in ihren noch heute existierenden Abschnitten 5 bis 15 m breit und 1 bis 2 m tief. Die Flutrinne führte zum größeren Teil durch tief liegendes Bruchland, muss aber trotzdem recht aufwändig in ihrer Anlage gewesen sein.

Der Jakobsgraben, die ehemaligen Flutrinne, Blick von der Potsdamer Straße Richtung Güterbahnhof, © H. M. Waßerroth

     

Dieser einstige Schifffahrtsweg zur Umgehung des Mühlenstaus ist der heutige Jakobsgraben: vom Abzweig von der Oberhavel nördlich der Potsdamer Straße, Unterquerung dieser wie auch der Umgehungsstraße und des Güterbahnhofes, Umrundung des Schützenworths, Vereinigung mit dem heutigen Pumpergraben und wieder Unterquerung der Eisenbahn. Danach folgt der Jakobsgraben der heutigen Umgehungsstraße, biegt nach Nordwest unter ihr ab und erreicht nach etwa einem Kilometer wieder die Havel, so die eine Aussage.

Nach einer anderen Betrachtung zum "Wasserbau als Infrastruktur der mittelalterlichen Planstadt" von Dr. Joachim Müller, Stadt Brandenburg Stadtentwicklung und Bauwesen Denkmalschutz/Bodendenkmalpflege, folgte die ehemalige Flutrinne der heutigen Umgehungsstraße bis zum Ende der Bebauung der Otto-Sidow-Str. Richtung Norden. Die Flutrinne schlängelte sich dann an der späteren Franz-Ziegler-Schule vorbei bis zur Unterhavel nahe der heutigen Gaststätte "Karpatenhütte" am Wiesenweg. In der Liegenschaftskarte von Brandenburg ist der Lauf noch gut nachzuverfolgen.
Der Brandenburger Markt hatte durch diese Umfahrung allerdings einen erheblichen Nachteil, weil der Schiffsverkehr nun so weit entfernt vorbeigeleitet wurde. Aus diesem Grunde unternahm man bald bauliche Anstrengungen, um den Verkehr näher an der Stadt vorbeileiten zu können. Eine Schifffahrt wurde bereits 1384 erwähnt, vermutlich ist damit der Stadtgraben (heute Stadtkanal) unmittelbar südlich der Neustadt gemeint. Ab 1455 wurde die Schifffahrt ausgebaut und eine erste Schleuse errichtet. 1548 bis 1550 entstand unter Kurfürst Joachim I. die Kesselschleuse für etwa 8 Finowkähne je Schleusung vor dem Steintor. Sie war seither zur Überwindung des Mühlenstaus ununterbrochen in Betrieb. Heute befindet sich an deren Stelle die 1925/26 erbaute und 1995/96 komplett erneuerte Stadtschleuse. Frachtkähne werden hier aber schon lange nicht mehr geschleust. Heute dient sie als Sportbootschleuse.

     

Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt

Die Kesselschleuse auf einer 1908 gelaufenen Postkarte, Slg. H. M. Waßerroth

     

Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt

Die Kesselschleuse auf einer anderen gelaufenen Postkarte, Slg. H. M. Waßerroth

     

Verlag: unbekannt, Foto: unbekannt

Die Stadtschleuse auf einer 1935 gelaufenen Postkarte, Slg. H. M. Waßerroth

Im Zusammenhang mit der Errichtung des Mühlendammes von der Neustadt, mit Einbindung der Dominsel und zweier kleinerer Inseln, bis zum damaligen Slawendorf Cracow entstand wohl auch der heutige Grillendamm. 1216 wurde eine "Neue Brücke" im Zuge des "Alten Dammes" erstmals urkundlich erwähnt. Sie soll eine ältere vom Parduin zur Burg (Dominsel) ersetzt haben und ermöglichte nun einen direkten Zugang zum Fernhandelsweg von der Neustadt Brandenburg nach Spandau.

Ein weiterer Damm als Verkehrsbauwerk sei hier am Rande ebenfalls mit erwähnt: Der Sankt-Annen-Damm. Viele werden wahrscheinlich gar nicht wissen, wo dieser Damm denn ist, obwohl sie vielleicht vor Jahren oft darüber gefahren sind. Bis zum Bau der Brücke über den Ostkopf des Brandenburger Güterbahnhofes rollte der ganze Verkehr über die heute als alte Potsdamer Straße bezeichnete ehemalige Fernverkehrsstraße. Die Anlage dieser ca. 1,5 km langen Trasse geht bis in Zeiten von vor 1631 zurück. Seinen Anfang nahm er vom St.-Annen-Tor und überquert das Breite Bruch in östlich und südöstlicher Richtung. Der Fahrdamm verläuft über mehrere kleinere Sandinseln, bis er bei Neuschmerzke wieder festes Land erreicht. Charakteristisch ist die gewundene Führung des Weges, der mit dem geringsten Bauaufwand die wegsamen Inseln verbindet.  
 

Auf dem Sankt-Annen-Damm, ehemalige Fernverkehrsstraße 1, heutige Alte Potsdamer Straße, © H. M. Waßerroth

    

All diese Anlagen waren auf einen größtmöglichen Nutzen ausgerichtet, dienten der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und der optimalen Verwertung der natürlichen Wasserkraft. Ob Schiffer, Fischer, Müller oder Landwirte, alle hatten nur ihre eigenen Ziele vor Augen. Deshalb kam es auch regelmäßig zu Beschwerden und Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Interessen über ein Stauziel. Im Flussgebiet der unteren Havel hatten im Laufe der Zeit ungünstige örtliche (topographische)Verhältnisse, Einwirkungen, die zugunsten Landeskultur und vor allem der Volkswirtschaft von den Landesherren in früheren Zeiten vorgenommen waren, Eigenmächtigkeiten von Beteiligten und Anlieger und schließlich auch die zunehmende Schifffahrt von Hamburg und Magdeburg nach Berlin in ihrem Zusammenwirken Zustände entstehen lassen, die die Vorflut des Flusses immer mehr und mehr nachteilig beeinflussten. Die Abführung des Frühjahrshochwassers verzögerte sich oft auf Grund der mangelnden Abflusskapazität der Staustufe Brandenburg bis lange in den Sommer hinein. Wasserbauliche Maßnahmen wie der Bau einer hölzernen Freiarche (Stimmingsarche) mit Abflussgraben zum Beetzsee 1782 zur "Beschleunigung des Wasserabflusses bei Brandenburg" und der im gleichen Zeitraum angelegte ca. 7,5 m breite Silograben zwischen dem Beetzsee und dem Quenzsee verbesserten die Situation nicht.    

Der Silograben auf einem Messtischblatt, Ausgabe 1903, Brandenburgische Städtebahn und Westhavelländische Kreisbahn wurden eingebessert, Slg. H. M. Waßerroth

    

Mit dem Stauregulativ vom 05.09.1832 und einem Nachtrag dazu vom 13.12.1856 wurde für die Staustufe Brandenburg nach zähen Verhandlungen ein Pegelstand von + 2,20 m im Winterzeitraum und + 1,99 m für die restliche Zeit im Oberwasser am Brandenburger Pegel festgelegt. Sobald diese Wasserstände in den entsprechenden Zeiträumen überschritten wurden, waren sämtliche Freiarchen und Mühlengerinne so lange geöffnet zu halten, bis das Oberwasser wieder auf das Stauziel abgesenkt war. Auf das Steigen des Unterwassers sollte dabei keine Rücksicht genommen werden. Damit war das Problem der mangelnden Abflusskapazität trotzdem nicht gelöst. Andere Regulierungsmaßnahmen wie Durchstiche (1880) dienten vornehmlich der Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen. Diese fast alljährlich erfolgten Meliorationen, Vorflutverbesserungen und Baggerungen usw. waren nur sich auf einzelne Teile des Flusses erstreckende Maßnahmen und erzielten nie mehr als rein örtliche und vorübergehende Erfolge.

  

Foto: unbekannt

Die hölzerne Stimmingsarche in der Krakauer Straße 1905, Slg. H. M. Waßerroth

    

Foto: unbekannt

Blick zum Dom, rechts die Anlagen der alten Stimmingsarche in der Krakauer Straße vor 1909, Slg. H. M. Waßerroth

     

Die Wiesenwirtschaft der 5700 ha umfassenden Havelniederung oberhalb Brandenburgs, die gerade auf zeitige Entfernung des Winterwassers von den Ländereien angewiesen war, wurde nach und nach an den Rand des Verderbens gebracht. Hinzu kam der stetig steigende Schiffsverkehr.

Die Kesselschleuse war um 1870 an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gekommen. Außerdem passte der sogenannte Plauermaß-Kahn wegen zu geringer Torweite (7 Meter) nicht hinein. Deshalb wurde in einem Durchstich von der Brandenburger Oberhavel zum Beetzsee von 1881 bis 1883 in der Krakauer Vorstadt die neue Vorstadtschleuse gebaut. Mit einer nutzbaren Kammerlänge von 67 Metern und einer Kammerbreite von 16,60 Meter bei einer Torweite von 8,40 Meter genügte sie den neuesten Erfordernissen. Schleppzüge mit großen Kähnen nutzten nach Inbetriebnahme die neue Vorstadtschleuse. Der restliche Schiffsverkehr fuhr weiterhin durch die alte Kesselschleuse. Um 1890 nutzten bereits die Hälfte aller Schiffe die Vorstadtschleuse.

  

Verlag: Panorama, Foto: unbekannt

Situation auf dem Stadtkanal auf einer 1910 gelaufenen Postkarte, es herrschte eine gefährliche Enge, Slg. H. M. Waßerroth

   

Infolgedessen kam man immer mehr zu der Erkenntnis, dass diesen großen Missständen an der Havel nur dann abzuhelfen sei, wenn eine gründliche und von einheitlichen Gesichtspunkten ausgehende Umgestaltung der gesamten Abflussverhältnisse vorgenommen werde. Den Anfang zur Verwirklichung dieser großen Aufgabe brachte nach langjährigen Vorarbeiten, Verhandlungen und Entwurfsvorlagen das Gesetz vom 04.08.1904, in dem der preußische Staat und Beteiligte Mittel zum Ausbau der unteren Havel für die Verbesserung ihrer Vorflut in Höhe von insgesamt 11,39 Mio. Mark zur Verfügung stellten. Alle hiernach angeordneten Bauausführungen wurden unter der Bezeichnung "die Verbesserung der Vorflut- und Schifffahrtverhältnisse in der unteren Havel" zusammengefasst und einer besonderen Bauleitung unter dem Regierungs- und Baurat Holmgreen in Rathenow übertragen. Von den im Rahmen dieses Planes ausgeführten Bauanlagen bildeten die Arbeiten bei Brandenburg an der Havel ein in sich abgeschlossenes Ganzes. Berechnungen hatten ergeben, dass alle Mühlengerinne und Freiarchen zusammen genommen eine durchschnittliche Abflusskapazität von 140 bis 160 m3 je Sekunde haben, aber bei Hochwasser eine Kapazität von 210 bis 220 m3 je Sekunde benötigt wird. Um eine möglichst schnelle Gewährleistung der geforderten Stauhöhe von + 1,99 bis + 2,20 Meter in der Oberhavel am Brandenburger Pegel nach Überschreiten dieses Wertes bei Hochwasser zu garantieren, musste also die Leistungsfähigkeit der Abflussöffnungen vergrößert werden. Eine solche Erweiterung war nur an der im Jahre 1782 unter Friedrich dem Großen angelegten Stimmingsarche möglich. Ihre 3 Öffnungen von je 1,68 m Weite und die Lage des Fachbaumes auf + 1,30 m des Brandenburger Pegels waren völlig unzureichend. So entstand für die alte Stimmingsarche in den Jahren 1909 (Wehr, Straßenbrücke und westliche Uferbefestigung) bis 1910 (Sturzbett und östliche Uferbefestigung) für insgesamt 135000 Mark ein Ersatzneubau.

    

    

Bauzeichnungen der neuen massiven Stimmingsarche in der Krakauer Straße, Slg. H. M. Waßerroth

    

Die nun massive Ausführung hatte zwei Durchflussöffnungen von je 10 m lichter Weite. Die Sohlentiefe lag bei + 0,50 m des Brandenburger Pegels. Die Bedienung erfolgte von Hand über Kurbeln. Für die Durchflussmenge von nun bis zu 70 m3 in der Sekunde in Spitzenzeiten mussten auch die Zu- und Abflusskanäle entsprechend erweitert werden. Die Herstellung des eigentlichen Bauwerkes mit Erd-, Ramm-, Beton und Maurerarbeiten übernahm die Firma Liebold u. Co aus Holzminden, Zweigniederlassung Berlin, die Lieferung und der Einbau der Stahlschützen erfolgte von der Firma Noell u. Co. in Würzburg. Alle übrigen Arbeiten sind von hiesigen Firmen ausgeführt worden.

     

Foto: unbekannt

Die neue Stimmingsarche in der Krakauer Straße nach dem Umbau, Slg. H. M. Waßerroth

    

Die nun gewaltige Wassermenge, welche die Stauanlagen passieren konnte, musste aber auch die Ortslage der Stadt Brandenburg durchfließen, was ohne Aufwendung unverhältnismäßig hoher Mittel für den Havelausbau nicht möglich gewesen wäre. Der immer mehr anwachsende Schiffsverkehr auf der Havel wurde in der Ortslage durch die vielen Klappbrücken ebenfalls zum Problem. Deshalb entschloss man sich auch aus wirtschaftlichen Gründen zum Bau eines Kanals vom Beetzsee durch die sogenannte Siloniederung zum Quenzsee, einem Randsee des Plauer Sees. Dieser Kanal sollte nicht nur die Hochwassermenge ableiten, sondern gleichzeitig der Schifffahrt die mühselige Durchfahrt durch die Stadt Brandenburg mit ihren Brücken und Flusswindungen bis zum Plauer See ersparen. Außerdem verkürzte sich der Weg um 2 km. Das wiederum bedeutete, dass der gesamte Schiffverkehr um Brandenburg herum in den Beetzsee geleitet würde, was die Anlage einer weiteren Schleusungsgelegenheit erforderte. Die Stadtschleuse am Steintor würde dann nicht mehr erreicht werden. Die vorhandene Vorstadtschleuse konnte die Schleusung der Schiffe der Stadtschleuse aus Kapazitätsgründen aber nicht mit übernehmen. So entschied man sich, südlich neben der bestehenden Vorstadtschleuse noch eine moderne Schleppzugschleuse zu errichten. Die Bauausführung der Schleppzugschleuse begann im August 1906 und endete mit der Übergabe durch den Regierungspräsidenten in Potsdam am 30.06.1909 bei einer Bereisung der Märkischen Wasserstraßen durch die Schifffahrtkommission. Der Bau des Silokanals begann ein Jahr nach Baubeginn der Schleppzugschleuse im August 1907 und die feierliche Betriebsübergabe war am 19.11.1910. Im Laufe der weiteren Zeit erforderten Eindeichungen an der Oberhavel und Wegfall von kleineren Gerinnen eine weitere Erhöhung der Durchflusskapazität der Staustufe Brandenburg auf nun 262 m3 je Sekunde. Die vollständige Öffnung der Stadtschleuse für einen ungehinderten Wasserabfluss erreicht nur 20 m3 je Sekunde. Neujahrsarche, Eisenbahnarche und Großer Überfall schieden für Erweiterungen aus. So wurde ein erneuter Umbau der Stimmingsarche notwendig und von 1963 bis 1966 realisiert. In diesem Zusammenhang musste auch der Zuflussgraben im Oberwasser im Bereich der Krakauer Havel stellenweise um bis 40 Meter verbreitert werden. Die neue Anlage verfügt ebenfalls über 2 Durchflussöffnungen von nun 16 Meter Breite. Statt Segmentschützen erhielt das neue Wehr Fischbauchklappen, die je nach Bedarf abgeklappt werden können und vom Wasser überströmt werden. In einem Häuschen auf dem Mittelpfeiler befinden sich die Antriebe für die Klappen. Bedient werden sie über Fernsteuerung von der nahen Vorstadtschleuse. Die Verbreiterung der Stimmingsarche erforderte auch einen Neubau der Straßenbrücke. Ihren Namen hat sie im Volksmund behalten: "Brausebrücke", obwohl der Ursprung des Namens nicht mehr gegeben ist. Als die Stimmingsarche noch Segmentschützen hatte, "brauste" das Wasser immer unter den angehobenen Schützen hindurch.

   

Die Stimmingsarche heute, vom Unterwasser gesehen, davor die Brücke der Krakauer Straße, © H. M. Waßerroth    

   

aus verschiedenen Quellen

bearbeitet und ergänzt von H. M. Waßerroth

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Vers. 2.1.2. vom 22.11.2022

© Harumi Michelle Waßerroth